IGOR STRAWINSKY

1882 - 1971
"Heute 4./17. XI. 1912 Sonntag habe ich unter unerträglichen Zahnschmerzen die Musik des Sacre beendet

1913 schockierte ein russischer Komponist, der später in Frankreich und danach gegen seinen Willen – aber nicht gänzlich widerwillig – in den USA leben musste, das Kulturleben, ja die ganze Musikwelt. Es ging beim Skandal der Uraufführung von Le Sacré du Printemps 1913 in Paris nicht rein um Kunst, vielmehr spürte man, "daß eine Revolution oder zumindest eine Umstellung der Werte im Anbeginn war" so Stefan Zweig in seiner Welt von Gestern. "Er hatte gerade erst angefangen, da war ich schon sicher, dass er komplett wahnsinnig war.“, so schrieb Pierre Monteux, späterer nervenstarker Dirigent der Uraufführung des Frühlingsopfers, als Strawinsky ihm Auszüge des Werkes am Klavier vortrug.

Wohlbehütet, als dritter von vier Söhnen, des Fjodor Ignatjewitsch Strawinsky, Solist an der Kaiserlichen Oper St. Petersburg und Nachkomme polnischer Landbesitzer aufgewachsen, zählte er nicht zu den klassisch-musikalischen Wunderkindern, weshalb er vorerst Jus als idealen Weg zur Beamtenlaufbahn studieren musste. Als der 20-Jährige dem großen Nikolai Rimski-Korsakow ein paar Kompositionsversuche vorspielte, riet der ihm nur, am besten privat strebsam weiter Jus zu studieren. Der junge Strawinsky, den zeitlebens eine unstillbare Neugier und ein unermüdliches Verlangen, die Kunst, die Literatur und das Leben kennenzulernen und zu erforschen, auszeichneten, verließ das zaristische Russland, das von Attentaten, Streiks und Demonstrationen erschüttert wurde. Vieles dieser ungestümen, ja nahezu animalischen Vitalität Strawinskys findet sich in seiner Musik, die bisweilen ohne ihre grandiose Orchestrierung auch naturhaft primitiv sein kann.

Seine Musik war zwar zu Beginn spätromantisch-impressionistisch, es schimmerte noch Rimski-Korsakoff durch die frühen Partituren durch, aber die Farbenglut, die oszillierende Harmonik, die treibenden Rhythmen verbinden sich zu einer vollkommen neuen Sprache die er später zur Perfektion trieb. Nach außen unauffällig war Strawinsky, wenn es um seine Musik, sein Innerstes, ging, hochenergisch und enervierte alle Beteiligten mit seiner Hartnäckigkeit, wenn es um die Umsetzung seiner Werke ging.

Bis heute klingt diese Musik ungemein modern, oft hat man sie als Antizipation der bevorstehenden Revolutionen und Weltkriege gesehen, dabei aber ihren starken Optimismus und die lebensfrohe Vitalität übersehen. Strawinsky, oft rüde gegenüber Interviewern, vehement in seiner Ablehnung von Eitelkeit und wütend gegenüber dem vermeintlichen Musikrevolutionär, als den man ihn gerne sehen wollte: "Man hat mich gegen meinen Willen zum Revolutionär gemacht. Revolution bedeutet Chaos. Kunst ist jedoch das Gegenteil von Chaos; sie ist ihrem Wesen nach konstruktiv."

Ein renommierter Kritiker glaubte einmal, vielleicht etwas eitel, Strawinsky endgültig beurteilen zu müssen: "Ich respektiere Strawinsky, aber ich muß gestehen, daß ich seine Musik nicht verstehe. Sie ist nicht meine Sprache!" Strawinsky darauf knapp: "Natürlich ist sie nicht seine Sprache. Sie ist die meine, Gott sei Dank!"