MODEST MUSSORGSKY

1839-1881
Kunst ist ein Mittel zur Kommunikation mit Menschen, nicht ein Ziel in sich selbst.“

In Russlands Adel hineingeboren, schloss sich 1862 Modest Mussorgsky mit den Komponisten Mili Balakirew, Alexander Borodin, César Cui und Nikolai Rimski-Korsakow in St. Petersburg zur „Gruppe der Fünf“ oder dem „Mächtigen Häuflein“ zusammen. Entgegen den dem westlichen Professionalismus zugewandten Komponisten wie Tschaikowski und Rachmaninow traten die Fünf für die national-russische Musik ein und sprachen dem Dilettantismus, wie man ihn im 16. Jahrhundert verstanden hatte, das Wort. Die Dilettanten dieser Zeit waren nicht zur Erwerbstätigkeit mittels ihrer Kunst gezwungen, sondern konnten sich dieser aus Freude und Lust am Schönen voll und ganz hingeben. Diese Sichtweise widersprach der im 19. Jahrhundert weit verbreiteten, die den Dilettantismus negativ bewertete und meinte, dass Dilettanten ihr Handwerk nicht gelernt hätten. Das "Mächtige Häuflein" war viel schwächer als der Name vermuten lässt. Es zerbrach sehr bald am Unverständnis des starken Bürgertums des 19. Jahrhunderts.

Die Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland bedeutete für Mussorgsky eine radikale Änderung seiner Lebensverhältnisse. Er verließ das Landgut seiner Eltern, die es verkaufen mussten, und gründete zusammen mit einigen Freunden eine Kommune. Sie praktizierten den "vernünftigen Egoismus", die Emanzipation der Frau und eine liberale Sexualmoral.

Als Mussorgsky 1874 begann, am Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung zu arbeiten, hatte er bereits intensive künstlerische Frustrationen u. a. durch das tiefe Unverständnis für seine Oper Boris Godunow erlebt. Schon hatte seine seelische und körperliche Veränderung durch seine lebenzerstörende Geißel Alkoholismus eingesetzt. Wenige Jahre später, als er wunderbare Lieder und eine fragmentarische Chowanschtschina hinterlassen hatte, wurde er wegen der mittlerweile nicht mehr zu verleugnenden Trunksucht aus dem Staatsdienst entlassen. Körperlicher Zusammenbruch, Verzweiflung, Angst betteln zu müssen folgten: nach einem Schlaganfall und einer kurzen Rekonvaleszenz mit stabiler Phase aus dem Spital entlassen, malte Ilja Repin das berühmte Porträt Mussorgskys. Mussorgsky verstarb kurz danach völlig verarmt als 42-Jähriger.

Mussorgskys Gegner sahen in ihm einen Dilettanten und lehnten sein Werk als dilettantisch ab. Außer Peter Tschaikowsky, der über seine einzige Oper: "Sie ist eine gemeine, niederträchtige Parodie auf die Musik." urteilte, nötigten gerade diese und einige seiner Lieder sogar den Gegnern seiner Kompositionen Hochachtung ab.

Obwohl Mussorgsky nie fundierten Kompositionsunterricht genossen hat, ist seine Bedeutung für die Musik, insbesondere für die russische und die französisch-impressionistische nicht zu unterschätzen. Obwohl seine schroffe, gelegentlich modal-altertümlich anmutende Harmonik immer noch irritierend ist, sind seine Bilder einer Ausstellung, egal in welcher Fassung – Orchester oder Klavier – für immer als zutiefst menschliche Musik in die Geschichte der Menschheit eingraviert. Offen bleibt die Frage, in wieweit diese gebrochenen, aber auch geschlossen-bündigen, vom kindisch-naiv-infantilen bis zum majestätisch-erhabenen reichenden Musikstücke durch den chronischen Alkoholmissbrauch geprägt sind.

Immer noch weiß man viel zu wenig über diesen besonderen, jedoch zerbrochenen Menschen und Künstler, visionär waren bereits damals seine innersten Gedanken: „Die Gesetze der Kunst sind nicht unveränderlich, sondern können sich ändern und entwickeln, wie alles andere in der inneren Welt des Menschen.“