FRITZ KREISLER

Er war der Geiger der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und einer der vielseitigsten Virtuosen seiner Zeit: Fritz Kreisler. Jahrzehntelang feierte er Triumphe auf den Konzertpodien in aller Welt. Giacomo Puccini nannte ihn liebevoll „L‘ Amico Fritz“. Und doch blieb Kreislers Verhältnis zu seiner Heimatstadt Wien zwiespältig. Lange Zeit versagte man ihm hier die Anerkennung. Wie frustrierend muss es für ihn, der bereits mit zwölf Jahren den Premier Prix, die höchste Auszeichnung des Pariser Konservatoriums erhalten hatte, gewesen sein, bei einem Orchestervorspiel bei den Wiener Philharmonikern abgelehnt zu werden. Er könne nicht richtig vom Blatt spielen, so die Begründung. Jahre später, zur Zeit seines Weltruhms, revanchierte er sich, indem er Auftritte mit dem Orchester strikt verweigerte. Andererseits verband Kreisler mit Wien auch stets ein Gefühl der Geborgenheit und des nostalgischen Zu-Hause-Seins. So setzte er seiner Geburtsstadt mit der Caprice viennois ein Denkmal in Form einer Miniatur für Violine und Klavier. Eingeleitet von ausladenden Gesten der Geige und harmonisch ungewisser Chromatik im Klavier hebt zunächst eine leidenschaftliche („con passione“) Introduktion in h-Moll an. Doch schon nach kurzer Zeit schlägt die Caprice ins süßliche H Dur um. Das Klavier etabliert einen sanften Wiegenrhythmus im ¾-Takt, der an österreichische Ländler erinnert. Darüber beginnt die Violine in schon fast ironischklischeehafter Terzenseligkeit eine Melodie in Doppelgriffen zu singen, die in jedem Takt den Geist des Walzerkönigs Johann Strauß zu atmen scheint. Kreisler verlässt diese Idylle kurz für ein aufgewühltes und ungestümes Zwischenspiel in h-Moll, bevor der Satz wieder zur H-Dur-Melodie zurückkehrt. Das Stück endet jedoch in der neckischen Stimmung des Anfangs in h-Moll. Die Caprice viennois ist eine der vielen Miniaturstücke für Violine und Begleitung, die Kreisler schuf. Als Geiger war er es nach einiger Zeit leid, immer wieder dieselben bekannten Piecen als Zugaben in seinen Konzerten zu spielen, und so löste er dieses Problem ganz einfach mit der Komposition immer neuer Bravourstücke. Als es ihm jedoch nach einiger Zeit „unverschämt und geschmacklos“ schien, seinen Namen auf den Konzertprogrammen „unaufhörlich zu wiederholen“, griff er zum Pseudonym und erlaubte sich gleichzeitig seinen ganz persönlichen Spaß: Kreisler verbreitete die Legende, er habe 1909 in einem der ältesten Klöster Europas ein Konvolut mit Manuskripten alter Meister (u. a. Vivaldi, Porpora, Couperin, Padre Martini und Dittersdorf) aufgestöbert und diese Sammlung den Mönchen nach langem Ringen zum hohen Preis von 8.000 Dollar abgekauft. „Ich habe einiges davon für mein Instrument arrangiert […], einige geringfügige Änderungen der Melodie vorgenommen, die Begleitung teilweise modernisiert, war aber bestrebt, den Geist der Originalkompositionen zu erhalten“, so Kreisler. In diesem Kontext veröffentlichte er auch sein Präludium und Allegro von Gaetano Pugnani. Alles Lüge: Tatsächlich handelt es sich bei all diesen Stücken um teils sehr gelungene Stilübungen, wie Kreisler 1935 eingestand – also schlichtweg um Fälschungen. Kreisler erklärte weiter, er habe die Namen der angeblichen Komponisten einfach aus Groves Dictionary of Music and Musicians herausgesucht. Diese Praxis mag befremdlich erscheinen, doch ist sie für Kreisler in der Tat typisch. So veröffentlichte er auch unter dem Titel „Alt-Wiener Tanzweisen“ die beiden Stücke Liebesfreud und Liebesleid, angeblich auf Grundlage zweier Walzer aus dem Nachlass Joseph Lanners. Dabei führte Kreisler die „beleidigten Fachleute“ indes immer wieder an der Nase herum, die die vermeintlichen Originale größtenteils für echt hielten. AUTOR Stefan Fuchs